Vom Überleben und Gedeihen –
die zwei Modi in der Krise
Lesezeit: 8 MinutenDie für alle gemeinsame Erfahrung in der Corona-Pandemie ist wohl, dass sich alles und zu jeder Zeit ändern kann. Dies bedeutet auch für Unternehmen die klare Notwendigkeit, sich schnell zu bewegen und anzupassen. Wer jetzt C-Suite-Leader ist, das heißt in der obersten Hierarchie-Ebene eines Unternehmers als CEO oder CTO etc. sitzt, und Projekte, Mitarbeiter und Unternehmen durch die Krise führen muss, dem steht kein Protokoll und kein Standard-Prozess zur Verfügung.
Wenn sich der Kontext so radikal verändert, ist es fast unmöglich, richtig und zeitlich adäquat zu handeln. Wer zu früh reagiert, kann panische Reaktionen schüren, wer zu spät handelt, muss mit anderen erheblichen Folgen rechnen. Aber neben den richtigen Entscheidungen in der jeweiligen Situation müssen Führungskräfte jetzt auch Sorgen und Ängste auffangen, Vertrauen schaffen und den Mitarbeitern zu einer Art Normalität verhelfen, in der sie mit Zuversicht weiter funktionieren, produktiv sind und weitestgehend zufrieden.
Die Rolle der C-Führung ist in Zeiten von Unsicherheit und Krisen besonders gefragt, da Menschen jetzt implizit oder explizit Autoritätsfiguren wünschen, die ihnen Sicherheit geben und die Richtung vorgeben. Und dies auf eine möglichst einfühlsame Art, die ein klares Verständnis für die aktuellen Herausforderungen zeigt und eine überzeugende Zuversicht, dass man die Krise gemeinsam erfolgreich bewältigt und gelassen das Business für „danach“ plant.
Wer derzeit C-Suite ist und als Führungskraft Team, Projekt und Unternehmen durch derart ungewohnte Krisenzeiten schiffen muss, auf dessen Weg können bedeutende Erkenntnisse aus der Evolutions- und Hirnforschung helfen. Die Rede ist von den zwei Modi in der Krise: Dem Überlebensmodus und dem Wachstumsmodus – aber der Reihe nach.
Der Modus für das Überleben
Der Mensch hat sich evolutionär zum Überlebenskünstler entwickelt. Er ist mit einem machtvollen Mechanismus ausgestattet, der ihm hilft, auf Extremsituationen nahezu bestens vorbereitet zu sein. Nach vielen Jahrtausenden scheint dieser Mechanismus ein Teil unserer Hirn-Körper-Vernetzungen geworden zu sein. Man könnte ihn sich als einen Überlebenskanal vorstellen, mit einem sehr leistungsstarken Radar.
Wenn das menschliche Überlebens-Radar etwas wahrnimmt, das es als Bedrohung wahrnimmt, geschieht vieles sehr schnell. Chemische Signale schießen in unseren Körper hinaus, um uns auf „Flucht oder Kampf“ vorzubereiten. Unser Verstand schaltet in den Modus der schnellen Problemlösung und konzentriert sich augenblicklich auf die Quelle der Bedrohung – und dies geschieht voll automatisiert. Was sich einst als Mechanismus gegen physische Bedrohungen unseres Lebens entwickelte, greift auch dann, wenn Bedrohungen unserer Gesundheit, unseres Hab und Guts, unseres Status, Egos, unserer psychologischen Sicherheit und anderen Aspekten unseres Wohlbefindens auftauchen. Ob nun eine Konfrontation mit dem Säbelzahntiger oder mit einem Statusverlust – die Reaktionen, die in Gang gesetzt werden, sind biologisch identisch.
Damit wird verständlich, dass die Bedrohungen der gegenwärtigen Pandemiekrise starke Reaktionen des Überlebensmodus hervorrufen können, weil es sich um eine physische Bedrohung handelt, die zudem unsichtbar ist und die jeder einzelne zunächst nicht beseitigen kann.
Der machtvolle Mechanismus erscheint jedoch weniger perfekt zu funktionieren, wenn der Mensch keine Lösung für das Problem finden kann oder mit wiederholten Bedrohungen konfrontiert wird, weil z. B. immer wieder Nachrichten und Informationen auftauchen, die den Überlebensmodus immer wieder neu auslösen. Dann können sich Kampf- und Fluchtimpulse gegenseitig aufheben, was zu einer Stillstandsreaktion, zu Verzweiflung, Demotivation und völliger Untätigkeit führen kann. In Unternehmen, in denen die Auswirkungen von Corona besonders akut erscheinen, muss mit diesem Phänomen gerechnet werden, womit unter anderem gravierende Produktivitätseinbußen einhergehen. Spätestens dann muss die C-Level-Führung handeln und Ängste und Befürchtungen deutlich reduzieren.
Wie man ständigen Auslösern für den Überlebensmodus als C-Suite-Leader begegnet
Natürlich gibt es reale Bedrohungen durch das Coronavirus. Aber es gibt auch wahrgenommene, die nicht real sein müssen, deren Auswirkungen für ein Unternehmen verhindert werden können. Daher sollten „Chiefs“ zunächst:
Die Bedrohungen reduzieren, indem reale und wahrgenommene identifiziert und getrennt werden
Die wahrgenommenen beziehen sich auf die Frage, welche Maßnahmen die C-Suite angesichts des Corona-Virus ergreift. Welche Unterstützung gibt es, wenn im Homeoffice auch Kinder betreut werden müssen? Kommt es zu Entlassungen oder Arbeitszeitverkürzungen? Werde ich gezwungen sein, mich physisch zur Arbeit zu melden? Was wird, wenn ein Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt? Hier sind Führungspersönlichkeiten gefragt, die sich auf Krisenmanagement verstehen. Die diese Fragen eindeutig klären, um die Sorgen darum auszuräumen. Indem sie die Anzahl der Bedrohungen reduzieren, können Führungskräftedazu beitragen, die Trigger für den Überlebensmodus deutlich einzudämmen.
Das Stichwort „eindeutige Klärung“ bringt uns zur nächsten Maßnahme.
Das Vermeiden von Zweideutigkeiten, wo immer es geht. Die fehlende Eindeutigkeit des Gesagten ist eine der größten Quellen von Bedrohungen
Führungspersönlichkeiten sollten transparent machen, nach welchen Kriterien Entscheidungen getroffen werden. Sie können klarstellen, welche Änderungen wann anstehen und warum, sowie deren Auswirkungen verdeutlichen. Wichtig in dieser Kommunikation ist, dass auch Fragen, die (noch) nicht beantwortet werden können, klar benannt werden. Allein dies kann das Ausmaß der Ungewissheit enorm verringern, denn es ermöglicht es einem Team, sich auf einen gemeinsamen Nenner des Nichtwissens zu gründen, und es schafft die Gewissheit, dass Antworten nur ihnen gegenüber nicht kommuniziert werden. Eine konsequent offene Kommunikation kann verhindern, dass soziale Angst ausgelöst wird.
Die so entstandene besondere Kommunikationskultur sollte in Krisenzeiten fest etabliert und ständig gelebt werden
Wenn sich Umfeld und Kontext fortlaufend ändern, benötigen auch Führungskräfte auf C-Level möglichst viele und verlässliche Informationsquellen, um klare Anweisungen geben und gute Entscheidungen treffen zu können. Das bedeutet in der Konsequenz eine proaktive Erweiterung des eigenen Informationsnetzwerks. Ein Führungsteam kann glauben, dass es konsistent und angemessen über eine neuartige Situation kommuniziert – bei Mitarbeitern in der unteren Organisation kann diese Kommunikation jedoch als unzureichend oder wenig adäquat empfunden werden. Dessen sollte sich die C-Führung immer bewusst zu sein.
Executive Entscheidungen
Worauf es nach der Eindämmung von Unsicherheiten und Ängsten im nächsten Schritt des Krisenmanagements ankommt, sind Entscheidungen, wie das operative Geschäft in der aktuellen Situation kurz-, mittel- und langfristig neu gestaltet werden soll. Natürlich ist Kontext und Handlungsbedarf für jedes Unternehmen exklusiv und stellt sich dementsprechend anders dar, es gibt aber universell gültige Prinzipien, an denen sich die C-Suite bei ihrer Entscheidungsfindung orientieren kann.
Auch langfristig denken
Dass es sich bei Corona um eine Pandemie handelt, die sich Monate hinziehen wird, dürfte indes allen bewusst sein. Dies bedeutet, dass Entscheider nicht nur die unmittelbar notwendigen Maßnahmen entwickeln, sondern auch langfristige Pläne machen, die die Auswirkungen der kurz- und mittelfristigen Maßnahmen einbeziehen. Welche Auswirkungen haben neu getroffene Maßnahmen, wenn sie sich über Monate hinziehen? Die Ressourcen müssen auch mittel- und langfristig disponiert werden – auch im Hinblick auf die Schaffung von Zuversicht für die Mitarbeiter.
Helikopter-Sicht auf alle Stakeholder
Dass Not erfinderisch macht, beweisen derzeit viele Unternehmen, indem sie ihr Angebot an die Krisensituation adaptieren. Auch hier gilt, was kurzfristig gut funktioniert und Kundenbedürfnisse befriedigt, muss langfristig nicht alle Stakeholder begeistern. Eine langfristige Planung muss zwingend auch die (Mehr-)Kosten für Mitarbeiter und Aktionäre berücksichtigen.
Zentralisiert handeln und kommunizieren
Eine perfekt für jede einzelne Teamgruppe zugeschnittene Botschaft und Anpassung ist in Krisenzeiten weniger effektiv. In Zeiten hoher Unsicherheit ist Klarheit und Konsistenz in der Kommunikation und Handeln von größter Bedeutung und erfordert eine stärkere Zentralisierung als sonst.
Teilantworten sind jetzt besser als keine Antworten
In prekären Zeiten hat auch das C-Level nicht alle Antworten vollständig parat. Führungskräfte können jetzt Stärke zeigen, indem sie nicht erst auf ultimative Antworten und vollständig entwickelte Pläne warten, sondern früh und zu jeder Zeit den Fortschritt kommunizieren und die Richtung vorgeben. Es ist viel schädlicher, keine Richtung vorzugeben als diese zu ändern, wenn eine neue Situation es erfordert. Dies demonstriert gelebte Flexibilität in strategischer Schlagkraft und schafft letztendlich Zuversicht und Vertrauen.
Terminierung der Maßnahmen realistisch benennen
Auch die Terminierung von Maßnahmen sollte wirklichkeitskonform kommuniziert werden. Einem Team realitätsferne Zeitspannen zu nennen, um es nach verstrichener Frist von Woche zu Woche aufs Neue zu vertrösten, ist nicht zielführend. Es hat sich gezeigt, dass die Nennung harter, aber realistischer Zeithorizonte besser angenommen und im Sinn einer Vermeidung des Überlebensmodus verkraftet werden, als ein Team von einer Terminierung zur Vertröstung und neuer Terminierung zu führen. Die emotionale Achterbahn von durchhalten und hoffen, zur Enttäuschung und neues Einstellen auf weiter durchhalten und hoffen, ist ein Kraftakt für Mitarbeiter und Teams. Wer damit dealt, verspielt seine Glaubwürdigkeit.
Der Modus für Wachstum
Natürlich birgen Krisen auch immer Chancen zu wachsen und zu gedeihen. Dies gelingt aber erst, wenn man sich dem Blick nach innen widersetzt und konsequent nach draußen schaut – sich also weg vom starren Überlebensmodus und hin zum Thrive- oder Wachstumsmodus bewegt, womit der Krisenmodus zwei gemeint ist.
Führungspersönlichkeiten, die den Überlebensmodus ihrer Teams nachhaltig entkräften, indem sie überzeugen und Vertrauen und Gelassenheit vermitteln, können den Wachstumsmodus in ihren Teams aktivieren. Umso gekonnter es ihnen gelingt, dass sich alle auf Chancen und gemeinsame Ziele konzentrieren, umso eher verhelfen sie ihren Mitarbeitern und Unternehmen, die gegenwärtige Krise erfolgreich zu meistern und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Aber lassen Sie uns das etwas abgedroschen anmutende Statement mit Leben füllen.
Neue Prioritäten setzen
Krisen bieten die Gelegenheit zu hinterfragen, ob die bisherige Art und Weise, wie die Dinge gehandhabt wurden, die beste ist. Sie bieten zunächst die Gelegenheit, neue Prioritäten zu setzen und sich auf wichtige, aber nicht dringende Angelegenheiten zu konzentrieren. Im „Schneller-höher-weiter“-Modus, in dem die meisten Unternehmen operieren, bleiben viele wichtige Aufgaben chronisch auf der Strecke. Die Chance, einen Teil der jetzt nicht ausgelasteten Ressourcen auf diese Initiativen umzuleiten, ist nicht zu unterschätzen. Sie ermöglicht es dem Unternehmen, sich für den zukünftigen Erfolg zu rüsten. Wer jetzt seine Prioritäten proaktiv mit Blick auf die Zeit danach überdenkt, kann sich viel schneller und erfolgreicher erholen und sich auf den kommenden Wachstum einstellen.
Experimentieren mit neuen Arbeitsweisen ausdrücklich erwünscht
Die Welt der Beiträge und Blogs ist voll von positiven Erfahrungsberichten zum Homeoffice. Was viele Unternehmen als notwendige Maßnahme zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus zwang, entpuppt sich als neue Offenbarung. Denn Unternehmen entdecken, dass bestimmte Aspekte ihrer Arbeit besser aus der Ferne erledigt werden oder dass sie eine erhebliche Kostensenkung, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, weniger Ausfälle durch Krankheit oder eine signifikant größere Effektivität erreichen können. Was zuvor in Unternehmen undenkbar erschien, könnte sich als Modell der Zukunft etablieren, indem Unternehmen auch künftig mehr Mitarbeiter ermutigen, von zu Hause aus zu arbeiten.
Ein weiteres Beispiel ist das Aufbrechen und die Reorganisation von Arbeitsweisen. Die Art wie Mitarbeiter in den meisten Unternehmen derzeit an einem Strang ziehen, sich gegenseitig unterstützen und füreinander einspringen, wenn es die Umstände nötig machen. Dass starre Zuständigkeiten sich auflösen und Funktionen aufbrechen, damit Dinge kurzerhand erledigt werden können und vieles andere mehr. Ohne eine bewusste Einhaltgebietung der C-Suite-Führung werden diese neuen Arbeitsweisen nach Ende der Krise erfahrungsgemäß wieder zu den alten zurückkehren. Wer jetzt wachsam ist und ein grundlegendes Verständnis vermittelt, warum und wie die neuen Verhaltensweisen und Handlungen auch weiter etabliert stattfinden sollen, dem bietet sich die große Chance, seine Unternehmenskultur auch nach der Krise nachhaltig positiv zu verändern.
Maßnahmen entwickeln, die langfristigen Interessen dienen
Die Skepsis manch progressiver Leader gegenüber einer Wirtschaft, die auf ein immer schnelleres Wachstum geeicht ist, erfährt in Zeiten, in denen es zuallererst darum geht, die Marktposition zu verteidigen, neuen Aufwind. C-Suite-Führern bietet sich jetzt die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die möglicherweise im besten langfristigen Interesse ihres Unternehmens liegen, und die zuvor aufgrund des allgegenwärtigen kurzfristigen Marktdrucks nur schwer zu vermitteln und umzusetzen waren. Solch visionäre Maßnahmen sind sicher die mutigsten, aber auch die weitsichtigsten. Dass ein Paradigmenwechsel auch angesichts anderer globaler und nicht weniger brisanter Problemstellungen ansteht, verweist vielleicht auf die Nutzung der Gunst der Stunde.
Welchen Kurs die C-Suite-Führung auch einschlagen wird – sie wird jetzt wichtige Weichen stellen.
Die Corona-Pandemie ist für alle eine Erinnerung, dass alles Gute vergehen mag – alles Schlechte aber auch. Lassen Sie uns dies bei allem Handeln und Kommunizieren nicht vergessen und die Zukunft konsequent gewissenhaft planen.